Super-Papa ist vielleicht nicht wahr, aber eine nette Methapher

Es gibt urbane Legenden von Müttern, die zusehen mussten, wie ihr Kind von einem Auto überrollt wird, und dann in einem Anfall von Verzweiflung das betreffende Fahrzeug mit bloßen Händen in die Höhe stemmen, um ihr Kind zu befreien. Diese Fälle sind nicht gut dokumentiert, man nimmt an, dass es sich um Beispiele hysterischer Stärke handeln könnte, vielleicht verwandt mit dem historisch angedeuteten Berserkergang (lustig übrigens: die deutsche Wiki ist beim Thema Berserker ausgesprochen nüchtern, die englische erheblich spekulativer). Diese Berserker waren, ja nach Quelle, Elitekrieger, tobende Wilde oder in Tierfelle gehüllte Kämpfer in nordischen Heeren, die mit großer Kraft und Wildheit in die Schlacht zogen. Vorher, so wird berichtet, bissen sie in ihre Schilde.

Die wagenhebenden Mütter, so muss man annehmen, hatten keinen Schild zum Reinbeißen, dafür aber angesichts ihrer überfahrenen Kinder einen Adrenalinstoß, der ihnen eine kurzfristige übermenschliche Kraftanstrengung erlaubte (und hinterher vermutlich einen Bandscheibenvorfall bescherte).

Doch dies sind die 2000er Jahre, mit Elternzeit und Krippenpapis. Die Kitas sind morgens von kinderabliefernden Vätern voll, und sogar Horrofilme wie "Zombieland" schämen sich nicht, in einer kurzen, emotionalen Szene die starke emotionale Bindung des Badass-Monsterkillers an seinen (toten) Sohn zu zeigen (und, hey, das war ganz schön hart!). Es ist also Zeit für den ersten WagenhebER.

Applaus also für den modernen Superpapa Nick Harris. In einer journalistisch dünnen Geschichte (siehe San Francisco Chronicle vom 18.12.2009) wird seine Heldentat wiedergegeben. Er hat einen Mittelklassewagen von einer Sechsjährigen heruntergehoben, ganz allein. Es war nicht mal sein eigenes Kind, sondern die Tochter einer Bekannten. Bonuspunkte also für uneigennütziges Verhalten. Später am Tag, so sagt er, hat er nochmal versucht Autos zu stemmen, leider erfolglos. Wäre doch lustig gewesen, wenn er auf einmal wirklich Superman wäre.

Skeptiker können allein schon an dem Artikel eine Reihe von offenen Fragen ausmachen, die Harris' Leistung schmälern. Warum werden bloß er und die Achtjährige zitiert? Was war mit dem Fahrer des Wagens - hatte der nicht geholfen? Wieso war das Kind unverletzt, wenn es doch unter einem tonnenschweren Auto eingequetscht war?

Das alles ist ganz egal. Es geht in Legenden und Märchen (auch urbanen Legenden) nicht um den Wahrheitsgehalt, sondern um die Bedeutung für eine Gesellschaft. Der Moderne Papa hat in Nick Harris seine Mutterwöllfin gefunden, das Vorbild dafür, dass man für das Kind alles leistet, alles aufgibt, Übermenschliches vollbringt und doch nicht klagt (Parallelen zur Muttergottes? Das dürfen die Theologen diskutieren).

Darum singe ich hier digital zu Ehren von Nick Harris einen kurzen Ausschnitt aus der mittelalterlichen Heimskringla.

„Aber seine [Odins] eigenen Mannen gingen ohne Brünnen, und sie waren wild wie Hunde oder Wölfe. Sie bissen in ihre Schilde und waren stark wie Bären oder Stiere."

Möge sein Schild ewig nach Testosteron schmecken.

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