Panik vor C12H22O11 (weißes Pulver, suchtfördernd)

Mein Sohn isst zu viele Süßigkeiten. Finde ich. Meine Frau raucht zu viel.

Kommt euch diese Aneinanderreihung komisch vor? Nein? Sollte sie aber. Nur weil „wir Bildungsbürger“ Gesundheitsfanatiker sind und beiden Lastern, Zucker und Nikotin, skeptisch gegenüber stehen, sind sie noch lange nicht vergleichbar. Nikotin macht süchtig, Zucker nicht.

Denkste! Zucker wurde jüngst zum Suchtmittel erklärt, und das auf experimentell ziemlich magerer Basis. Es scheint als würde dem lebenswichtigen Stoff jede Dämonie angedichtet, die man sich vorstellen kann. Er ist das Futter für die Unterschicht, Gift für Zähne, Kreislauf, Geist, Moral, Ende der westlichen Zivilisation. Sogar sexuelle Vergehen werden seit jeher mit Süßigkeiten assoziiert. Was wäre Lolita ohne Lolli?

Wenn eine Gesellschaft so auffällig auf Hexenjagd geht, dann fällt das ein paar kritischen Denkern auf. Früher schrieben sie Bücher, heute Blogs. Ein Dr. Kawash ist Autor des Candy Professor Blogs, der ein kulturhistorisches Auge auf die Panik vor Süßigkeiten wirft.

Mir hat sein unvoreingenommener Blick auf unseren Umgang mit dem Lieblingsessen meines Sohnes geholfen, mich ein bisschen einzukriegen. Klar knirsche ich immer noch mit den verplombten Zähnen, wenn Brainbug einen Tag lang fast nur Süßes isst (Honigtoat zum Frühstück, Kaiserschmarrn zum Mittag, Kuchen zum Nachmittag und am Abend Obst und Ehrmann Fruchtjogurths. Zwischendurch alles Süße, was er von Omas, Opas, Tanten, Mama und Papa erbetteln kann. Mein süßer Schatz.) Ich werfe manchmal besorgte Blicke auf seine Plautze, und ich frage mich ob ich meinen jährlichen Zahnarztbesuch nicht gleich zur Vater+Sohn-Veranstaltung erklären muss.

Und dann denke ich an den Candy Professor und zähle bis zehn. Jeder Mensch hat seine Hysterien, aber man muss nicht deren Sklave sein. Nimm dir noch ein Gummibärchen, Brainbug.

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