Rezension: Chihiros Reise ins Zauberland

Ein absolut erstaunlicher Film, der mitteleuopäischem Publkum einen Bonus bietet, den die japanischen Landsleute des Regisseurs Hayao Miyazaki nicht genießen können. Die kulturelle Barriere, die den hiesigen Besucher oftmals wie ein Schlagbaum vor den Schädel stößt, passt nämlich ins Konzept des Filmes: die Reise des Mädchens Chihiro in eine magische, unverständliche Welt mit merkwürdigen Bewohnern. Diese Paralelle zwischen ihrem Abenteuer und meinen Seherlebnis des Filmes sorgt dafür, dass ich ihn nicht so schnell vergessen werde - auch weil ein paar eklige Szenen dabei sind. Definitiv nichts für Kinder, aber ein Erlebnis für ihre Eltern.
Die europäische Märchentradition ist uns so gut bekannt, dass uns selbst Parodien ihrer bekanntesten Elemente nicht mehr vom Hocker reißen. Wölfe, Hexen, Zwerge, alles keine Elemente, die uns ins Kino locken würden. Aber die asiatischen Märchen kennen nur wenige, und der Film "Sen to Chihiro no kamikakushi" (zu deutsch nicht verkehrt aber unexakt übersetzt mit "Chihiros Reise ins Zauberland") bedient sich sehr großzügig aus diesem Schatz. Gleichzeitig legt Miyazaki als Mastermind des Studios Ghibli (Prinzessin Mononoke, Ponyo – Das große Abenteuer am Meer und viele mehr) größten Wert auf künstlerisch anspruchsvolle Szenen. Das führt dazu, dass man sich sehr schnell tief in den Film einfühlen kann. Die Hauptfigur, das Mädchen Chihiro, ist ein weiterer Grund: sie ist überzeugend animiert und verhält sich wie ein echtes Kind (sie flippt aus und meckert ihre Eltern an, als diese sich unverständlich benehmen, sie hat Angst und heult, wenn ihr Erschreckendes widerfährt. Anders als die US-Helden wie Russel aus "Oben!", Robert "Flash" Parr aus "Die Unglaublichen" also). Ihre Ängste sind sehr real: das Verhalten ihrer Eltern, die Chihiros Einspruch lachend beiseite wischen, die Einsamkeit und Verunsicherung in einer fremden Umgebung. Alles Dinge, an die sich jeder aus seiner Kindheit erinnern kann.


Chihiro verliert auf ihrem Weg ihre Eltern, wird teils unfreiwillig Arbeiterin in einem absurden Badehaus, wird mit einigen der monströsen Bewohner und Gäste konfrontiert und findet schließlich mit dem mysteriösen Haku einen Freund und Helfer. Immer wieder werden bislang harmlose Gestalten unversehens zu gefährlichen Monstren, nur um wenig später wieder zu harmlosen oder sogar freundlichen Begleitern zu werden. Oft mutieren sie auch körperlich sehr anschaulich, kotzen durch die Gegend, verschlingen andere Bewohner, werden verzaubert oder machen sich unsichtbar. Es geht zu wie bei Hieronymus Bosch. Doch so bedrohlich die Szenerie manchmal auch wirkt, zu Schaden kommt die Heldin nie, und selbst die Bösewichte des Films sind am Ende weniger rachsüchtig als sie davor klangen. Chihiro darf fast ungehindert nach Hause, ihre Eltern sind gerettet, Haku aus der Gefangenschaft befreit. Es scheint fast, als hätte sich Miyazaki kurz vor Ende des Drehbuchs darauf besonnen, dass Happy Ends sich besser verkaufen - oder er wollte eben doch einen Kinderfilm machen, der zwar schaudern lässt, bisweilen erschreckt, aber nicht traumatisiert (suehe etwa "Bambi")

Und so bleibt der Rat, sich den Film anzusehen. Vielleicht nicht, wenn man einen schwachen Magen hat, und sicher nicht mit Kindern. Aber auf jeden Fall, wenn man das Gefühl hat alles schon mal gesehen zu haben auf der Kinoleinwand. Chihiros Reise zeigt Neuland.





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