Zweifel an Oxytocin und Empathie-Studie

Die Medien lieben Stories über Hormone. "Forscher: Testosteron macht untreu" oder "Studie: Kuschelhormon macht dick" oder was auch immer einem Forscher eingefallen ist. Als News ist es einfach zu verlockend: schnell geschrieben, menschlich relevant, und jeder kann sich beim Lesen was drunter vorstellen. "Ja stimmt, der Fred ist auch so ein Macho, das sind sicher die Hormone." Nur leider verliert Forschung auf dem Weg in die Zeitung gerne etwas wesentliches, nämlich die Nuance der Belastbarkeit. Die aktuelle News "Menschen ohne Kuschelhormon fehlt die Empathie" ist ein erstklassiges Beispiel dafür. Nicht, weil die Forscherin geschlampt hat, oder die Journalisten. Sondern weil erstere und letztere etwas unterschiedliches suchen. Warum also bin ich der Meinung, dass Oxytocin die Empathie nicht begünstigt? Drei Gründe: Größe, Alternativen und Widersprüche.
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Empathie kommt vom Kuscheln


Worum geht es also: eine junge Forscherin namens Katie Daughters von der Uni in Cardiff hat 36 Menschen mit einer Erkrankung, welches den Oxytocin-Pegel senkt verglichen mit 20 gesunden Probanden, und sie zwei Tests durchführen lassen, welche die Empathie messen (es geht um das Erraten von Emotionen anhand von Fotos der Gesichter und Augen verschiedener Menschen). (Siehe das Abstract der Studie hier). Sie maß zudem den Oxytocin-Pegel und schlussfolgerte, dass die erkrankten Probanden weniger vom "Kuschelhormon" hatten und schlechter bei den Tests abschnitten. So weit, so nachvollziehbar. Aber:

1. Grund: Die Studie ist winzig, und alle Forschung ist provisorisch

Mit 50 Probanden ist die Studie viel zu klein für irgendeine gesicherte Aussage. Sie ist bisher nicht repliziert worden. Wenn in den kommenden Jahren mehr Forscher ähnliche Ergebnisse erzielen, würde man beginnen von einer wissenschaftlichen Erkenntnis zu sprechen. Aber bislang ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es ein Zufallsergebnis ist, oder andere Gründe zu dem Ergebnis führen. Außerdem darf man zweifeln, ob eine Erkenntnis, die (so muss man annehmen) ausschließlich an Walisern gewonnen wurde, auf die gesamte Menschheit übertragbar ist.

2. Grund: Es gibt alternative Erklärungen, die auch nicht schlechter sind

Für einen geringen Oxytocinpegel könnte es andere Gründe geben. So wird etwa vermutet, dass soziale Interaktion den Pegel des Hormons steigert. Gerade die Menschen aber, die nur wenig empathisch sind, dürften wenig soziale Interaktion haben. Chronisch Kranke, an denen diese Studie durchgeführt wurde, vielleicht ebenso. Singen steigert den Pegel ebenfalls. Vielleicht sind Sänger empathischer, und die Teilnehmer der Studie wurden aus einem Chor rekrutiert? Zudem könnten Medikamente eine Rolle spielen. Und wie stark wird die Leistung bei diesem Test (oder anderen tests) durch ihre Krankheit beeinflusst? All diese Variablen sind hier nicht kontrollierbar.  

3. Grund: Von Oxytocin vermuten wir auch widersprüchliche Effekte

Die Medienberichte listen gerne einige Eigenschaften des Hormons Oxytocin auf: es steuert sexuelle Erregung, Mutter-Kind-Bindung und Vertrauen. Seltener wird erwähnt, dass es auch im Verdacht steht, Menschen fremdenfeindlich zu machen. Als Gegenspieler des Testosteron könnte es auch eine Rolle beim Dominanzverhalten spielen (oder, genauer, bei der Bereitschaft sich unterzuordnen). Es besteht also ein durchaus komplizierter Zusammenhang zwischen Hormon und Verhalten. Das auf den ersten Blick offensichtliche Ergebnis von Katie Daughters ist es bei näherer Betrachtung nicht.

Bild von Kyle Flood from Victoria, British Columbia, Canada - Bath Time SmoochesCC BY-SA 2.0Link



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